15.11.2009 Peter Piek @ Cafe Milargo, Münster D

Es regnet zwar zeitweise und wir hatten genug Dreisterneschlaf, eine gepflegte Dusche und ein ordentliches Frühstück, aber ich komme bis 16 Uhr nicht ohne Sonnenbrille aus und hänge wie eine abgestürzte Fledermaus im Tourbus. Holländisches Bier ist eine Substanz, die schon in minimalen Dosen tödlich ist. Nur habe ich das von meinem letzten Hollandbesuch nicht mehr so in Erinnerung. War ich damals so viel jünger? Egal, da man ja im Alkohol-Promillewert meines Blutes von gestern keine Spuren findet, kann ich ohne schlechtes Gewissen trotzdem irgendwann auch mal den Tourbus steuern und wir erreichen Münster im Regen gegen 17 Uhr. Bis die Leute vom Cafe Milargo, das eigentlich eine Unimensa ist, da sind, machen wir noch einen kleinen Stadtrundgang mit Sandwicheriahalt, wo ich an meinem Tourtagebuch weiterschreibe, während Peter versucht, die Bedienung zu einem Konzertbesuch zu überreden.
Zurück beim heutigen Veranstaltungsort, bauen wir routiniert unser Equipment auf und passen unsere Instrumente den heutigen, eher anspruchsvollen Bedingungen an. Der Raum erweist sich durch Luckas Schnalztest akustisch nicht gerade als trocken und auch Lautstärketechnisch müssen wir heute so fest drosseln wie es geht. Das Schlagzeug wird hier nicht verstärkt und ich stimme die Bassdrum so, dass das Podest auf dem wir spielen zum natürlichen Verstärker wird, in dem ich die Frequenz suche, bei der das Ding bei jedem Paukenschlag synchron mitschwingt. Gesucht, gefunden. Am Gitarrenverstärker wird auch an den Frequenzen manipuliert, bis das ungeschützte Ohr im leeren Saal keine Schmerzen mehr kriegt und durch abkippen des Verstärkers Richtung Peters Kopf wird sichergestellt, dass er, der sowieso nie genug davon hat, auch die volle Ladung von dem, was da jetzt noch rauskommt abkriegt. Wir kriegen einen sehr warmen, druckvollen aber nicht zu lauten und gut verständlichen Sound hin und sind ein bisschen stolz auf diese Meisterleistung. Es ist immerhin Sonntag und die Nachbarn seien schon etwas gereizt. Ein weiterer Grund, warum wir uns so anpassen müssen ist, dass wir heute Abend einen Pooetryslam musikalisch untermalen. Da sitzt das Publikum in grosser Zahl im ganzen Raum verteilt an Bistrotischen und möchte nach unserer dreiviertelstündigen Einleitung natürlich noch etwas von den Stimmen der Poeten hören und nicht gleich taub sein. Auch diese Veranstaltung ist eigentlich ein Experiment mit uns und wir sind alle guter Dinge, dass es funktionieren wird.
Pünktlich um 20 Uhr füllt sich der Laden relativ schnell. Der Poetryslam ist hier immer gut besucht und davon können wir jetzt, im Gegensatz zu gestern Abend, voll profitieren und zu einer sehr frühen Zeit vor einem vollen Laden performen. Das tun wir dann auch, nach dem wir abnormal nervös in einer Ecke gesessen haben und darauf gewartet haben uns den Poetryhungrigen, die zum Teil schon wieder gehen wollten, als sie die ganzen Instrumente auf der Bühne sahen und sich im Tag geirrt zu haben glaubten. Während des ersten dreiviertelstündigen Sets wird schnell klar, dass sie für uns mehr als erwartet übrig haben und sie mutieren zu unserem Zielpublikum, das wir dann auch gezielt abschiessen. Es dauert zwar etwas lange, bis wir das Eis definitiv brechen. Erst als wir ein paar musikalische Schnitzer bieten und uns dann gekonnt und grinsend aus der Affäre ziehen und Lucka Peter bei seinen Ansagen reinquatscht springt der Funke endgültig und wir gehen bei einem sehr warmherzigen Applaus von der Bühne. Jetzt slammen sich die Peotryakrobaten. Zwei von ihnen sind überaus gut und hauen mich, obwohl ich weder viel davon verstehe, noch grosses Interesse als Konsument dieser Kunst habe schlicht aus den Socken. Auch die anderen drei sind eigentlich besser als solche, die ich schon im Fernsehen gesehen habe, wenn vielleicht noch nicht so packend und routiniert, aber das wird schon noch. Nach einer halben Stunde ist der Slam dann auch schon vorbei und wir dürfen das Publikum wieder unterhalten, während der Veranstalter die Publikumsstimmen für die Schreiber/Leser auszählt. Erst heisst es aber, wir sollen mit Besen und leise spielen, da die Nachbarn nicht so zufrieden sind wie das Publikum. Das wäre aber nicht das was das Publikum und wir wollen und wir einigen uns auf 20 Minuten volle Kanne mit anschliessender Nachtruhe für die armen Nachbarn. Das erweist sich dann auch als einzig richtige Entscheidung, denn die Mädels in der vordersten Reihe können sich kaum noch auf den Stühlen halten. Die Stimmung ist perfekt und ich glaube wenn wir Sie nur einmal aufgefordert hätten, aufzustehen hätten sie das gemacht und das ganze wäre zu einer üblen Tanzparty verkommen. Dazu kommt es dann aber nicht, da die 20 Minuten verdammt schnell vorüber sind. Doch so einfach lassen sie sich nicht abspecken. Schon lange nicht mehr kamen die Zugaberufe so schlagartig und der Wunsch ist uns Befehl. Das Nicken des Veranstalters ist unser grünes Licht und wir bedanken uns passend mit „what about the ladies“.
Die Gage die, hier zwar ein zehntel der Gage von gestern ist, wird dann wohlwollend verdoppelt und beim Vergleich mit dem Konzert gestern vor leerer Hütte, bei dem aber sonst alles aus dem Traumbuch eines Musikers auf Tour abgeschrieben wurde, stellt sich heraus, dass ein gutes Publikum eben doch immer noch am wichtigsten ist. Geld macht bekanntlich nicht glücklich. Aber von was lebst du?

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