03.10.2009 Moritzbastei Leipzig
Meine erste offizielle Amtshandlung auf dieser Tour ist es, mein Schlagzeug in Peters Wohnung hoch zu tragen und ich kann es kaum erwarten, endlich zu spielen. So wie ich in letzter Zeit drauf bin, trage ich meine 200 Kg Schlagzeug gerne zwei mal mehr herum, wenn ich dafür auch ein paar Stündchen mehr drauf klopfen kann, sei es auch um nur zu üben. Mir ist langweilig geworden mit dem was ich kann, ich muss besser werden. Peter scheint da ähnlich spitz zu sein, was uns nicht auf den Bassisten warten lässt. Es handelt sich um niemanden geringeren als Stephan Lucka aus Dortmund (früher Münster aber das mit der Freundin ist jetzt ernst), wie auf der letzten Tour. Losbrettern! Gegen 3 Uhr taucht der Tieftonheini dann doch endlich auf und wir können zu dritt lärmen. Allerdings nicht bevor wir die üblichen Schmeicheleien bzw. Frechheiten ausgetauscht haben.
Gegen 5 Uhr nehmen wir den ganzen Krempel erneut zweimal in die Hand und checken den Sound in der Moritzbastei. Die Mischerin versucht Peters eisernen Willen bezüglich Verstärkervolumen zu brechen, schafft es aber erst, als wir ihr verbal argumentierend zu Hilfe schreiten. Dann tauchen da zwei Damen mit Violine und Cello auf, stellen ihren Notenständer auf die Bühne und testen die Sicht, während die Mischerin das Gegenteil von vorhin tut, nämlich leise Instrumente laut machen.
Halb neun und es sind grob geschätzt erst vier Leute im Publikum anwesend. Sieht nicht rosig aus. Die Vorband startet wenig später und füllt den gähnenden Raum mit ihrer Musik. Sie tun mir ziemlich leid, die beiden und ich würde eigentlich gerne nach vorne gehen, um mehr Publikum zu mimen. Ich verzichte aber auf diesen symbolischen Akt des Zusammenhalts unter Musikern, da mir mittlerweile meine Performance wichtiger ist als das Wohlbefinden der anderen Band (welche durch meine Anwesenheit im Zuschauerraum auch nicht unbedingt den krassen Höhenflug des Abends kriegen würde). Ich habe auch damit aufgehört mich irgendwie für einen Zuschauermangel verantwortlich zu fühlen, geschweige denn, die Endtäuschung darüber meinen Gemütszustand übernehmen zu lassen. Es ist weder meine Schuld, noch kann ich irgendetwas daran ändern. Entweder man hat Glück oder Erfolg oder beides. Bleiben beide dieser Perlen zu Hause oder anderswo, bleibt die Band und ich mit einer Hand voll Zuschauern, deren Namen auf der Gästeliste stehen oder deren Geld in der Eintrittskasse liegt übrig und das ist dann unsere Konzertsituation, in der es genau so wie bei einer vollen, kochenden Halle darum geht, die Bestmögliche Performance abzuliefern. Eigentlich möchte ich nicht mal wissen, wie es da vorne zu und her geht, bis der Moment kommt, an dem ich die Bühne betrete. Es spielt nämlich keine Rolle, da das, was da vorne abgeht stark von dem abhängt, was wir auf der Bühne präsentieren. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich bleibe Backstage, wärme mich auf, schreibe die Setliste ab, trinke viel Wasser und wenig Bier und versuche mich zu konzentrieren, was nicht ganz einfach ist bei dem ganzen Gequatsche in diesem kleinen Raum (unter anderem die Türkisch/Deutsch Lektion, die die Geigerin gerade mit ihrem Mitbewohner macht).
Als wir dann die Bühne betreten, sieht es dann schon aus, als hätten sich doch immerhin die meisten der 30 Personen auf der Gästeliste zum Trotz des Tages der Deutschen Einheit zu uns verirrt. Also lassen wir es krachen. Anfangs läuft es ganz gut. Die Stimmung unter den Leuten ist erfreulich gut, sie applaudieren nicht zurückhaltend und die Zuhörerzahl scheint laufend zu steigen. Doch das gelingt nur ganz am Rande bis zu meiner Wahrnehmung. Etwa ab dem dritten Song fühlt sich die Show an, als hätte man uns einen Stock zwischen die Beine geworfen. Es passieren Fehler und unsere spärliche Spielsicherheit, die wir uns in der kurzen Probe aufgebaut haben, verliert sich im Nichts. Peters Effektgeräte schmeissen zudem Steine auf uns, in dem sie mit Wackelkontakten für zwischenzeitliche Ruhe in den unpassendsten Momenten sorgen. Auch die Mischerin macht uns das Leben schwer: Bei einem Song, der gleich mit Gesang beginnt, vergisst sie das Mikro einzuschalten. Peter bricht ab, der Song kriegt eine zweite Chance. All die Dinge, die da geschehen, dürfen nicht sein! Nicht in dieser Band, die eigentlich die absolute Arschtrittshow abliefern kann, nicht in Leipzig, wo Peters Ruf am meisten unter solchen Pannen leiden könnte und schon gar nicht beim Tourauftakt. Klar kann man das alles irgendwie rechtfertigen und entschuldigen, doch nach all den Konzerten, die ich bis heute gespielt habe, all den Kilometern, die ich dafür gefahren bin, all den Stunden, die ich dafür geübt habe und all den Bands die ich kennengelernt habe, denen so etwas total schnurz ist und die es nie zu etwas bringen werden und früher sterben, weil sie zu viel Freibier gesoffen haben, habe ich einen Anspruch entwickelt, dessen Toleranzgrenze für Patzer weit höher liegt als das, was hier gerade vor sich geht.
In der Mitte des Sets spielt Peter zwei Songs mit den Streicherinnen, bei denen Stephan und ich nicht mitspielen. Ich ziehe mir das aus den Reihen des Publikums an und habe das Gefühl, dass diese sieben Minuten den Abend retten. Am Ende des Sets spielen wir unseren Zugabenprovozierer „Underwater Death Song“. Für diesen Song haben wir auch zwei Gastmusiker: Einen Pianisten und einen Saxer, die den Übungsraum über Peters Wohnung haben. Beides begnadete Jazzer. Als ihr Einsatz gegen Ende des Songs näher rückt, stehen sie wie angewurzelt beim Bühneneingang. Ich gestikuliere wild, bei dem Affentempo, das ich in dem Song 7 Minuten spielen muss, sie sollen endlich reinkommen und was machen. Endlich stürmen sie rein, das Publikum schreit und der Jazzpianist, der eine ulkige Sonnenbrille trägt, geht tierisch ab. Ich höre davon leider nichts, da man offensichtlich das Piano auf meinem Monitor für überflüssig befunden hat, doch Lucka meint hinterher, das sei „von einem anderen Stern“ gewesen. Jazz eben. Der Saxer duelliert sich zum Glück nicht zeitgleich mit diesem intergalaktischen Ereignis mit Peters Gitarren Solo und am Schluss, als wir das Schiff endlich in den Hafen zurück gebracht haben und die Stille von tosendem Applaus gebrochen werden sollte, macht die Cellistin, die den ganzen Song über mehr oder weniger tatenlos einen halben Meter vor meinem Schlagzeug, das Crashbecken direkt hinter ihrem Kopf (dieses arme, gut ausgebildete, ungeschützte Musikgehör! Ich traue mich kaum zu tun, was ich tun muss…), Geräusche, die ich bisher nur aus dem Fernsehen von irgendwelchen Wahlfischdokus gehört habe.
Endlich ist es vorbei und das Publikum, immer noch herzlich drauf und gut gelaunt, bittet uns um Zugabe. Wir sind so nett.
Danach essen wir Foyer der Moritzbastei unter Emos und anderem Gesindel, das nicht unser Konzert besucht, sondern eine doofe Electrorockblablaparty. Ich bin am Ende. So was von! Doch Stunden später trage ich das Schlagzeug erneut in Peters Wohnung und stelle es wieder auf. Morgen wird geprobt! Das ist uns allen klar, denn morgen werden uns mehr Leute hören und zwar glasklar. Deswegen lassen wir die Gläser stehen und gehen schlafen, ich auf dem Bett neben meinem Schlagzeug im Übungszimmer.
von Christian Schönholzer