Peter Piek Tourblog / Hamburg II von Christian Schönholzer

Hamburg II

Hamburg II

Wir stehen erst gegen Mittag auf. Wir hatten wirklich ordentlichen Schlaf nötig und mir sitzt die Begegnung von letzter Nacht noch in den Knochen. Wir können hier in einer Wohnung hausen, die von drei oder vier Clubs gemeinsam als Musikerunterkunft gemietet wird. Es hat zwei Zimmer mit Kajütenbetten, frisch bezogen und auf jedem Bett liegt ein frisches Frottiertuch. Es gibt ein Bad mit Dusche am Fenster ohne Milchglas oder ähnlichem Sichtschutz. Gibt es da einen Zusammenhang mit der Herbertstrasse? Eine Küche gibt es auch. Letzte Nacht, als ich schon geschlafen habe, trat plötzlich einer an mein Bett, das auf Kopfhöhe für einen aufrecht stehenden, ausgewachsenen Mann liegt. Es war dunkel und der Raum war nur von einem Feuerzeug erhellt, das der Eindringling vor seinem Kopf hielt. Irgendwie sah er aus wie Stephan. Er drehte sich um, als er mich sah, ging zurück und verlies den Raum. Der Raum war immer noch erhellt, diesmal aber von der Strassenlaterne. Mein Kopf drehte sich zu Stephans und Peters Kajüte. Beide schlafen…
Es ist noch eine Andere Band da, die sich im anderen Zimmer verschanzt hat und letzte Nacht nach uns eingetroffen ist. Sie verhalten sich ruhig, wir auch. Zettel, die in der ganzen Bude aufgehängt sind, verraten da anderes. Scheinbar wird die Wohnung bald gekündigt, wenn sich weiterhin derartiger Lärm nachts durch die Decken in die anderen Appartements drängt.
Draussen regnet es und die Temperaturen liegen, gegenüber den letzten Tagen, in denen wir mildestes Herbstwetter geniessen durften, absolut im Keller. Stephan und mir fällt hier im Haus die Decke auf den Kopf. Schirmlos stolpern wir ins Schanzenviertel hinüber und machen das, was mir einen Grund gibt in Hamburg zu sein (Das „Konzert“ von gestern kann es ja nicht sein): Essen in Omas Apotheke. Dann trinken wir wenige Adressen weiter vorne Kaffee und warten auf bessere Zeiten. Die kommen erst mal nicht. Doch ein Anruf von Peter, der sich irgendwie in der Wohnung eingeschlossen hat, bricht die Szene, an die ich mich gerade eben gewöhnen konnte. Als wir dann nicht all zu schnell reagieren, kommt ein zweiter Anruf. So, nun ist Peter also so drauf, wie ich gestern nach dem Konzert. Wir gehen durch den Regen zurück und befreien den armen Kerl. Wenig später kommt er zurück und meint, er hätte eben zwei Euro erhalten, damit er in der Pizzeria eine Pizza kriegt. Hamburg, verkehrte Welt.
Mit grossen Hoffnungen, die wir auf den letzten Auftritt dieser Tour und auf die Hamburger Konzertkultur setzten, brechen wir Richtung Hamburg Winterhude auf. Das ist ein Viertel, das einen eher gehobenen Eindruck macht. Da gibt es an einer Strassenecke die kleine Bar „Freundlich und Kompetent“. Dieser Name sagt eigentlich schon alles. Und es ist genau, das was wir brauchen. Die Bar ist gerade voll Fussballzuschauer vom Spiel Deutschland/Russland. Anscheinend hat der Schweizer Schiedsrichter irgendetwas falsch gepfiffen und da muss ich mir natürlich wieder einiges anhören. Nach dem Schlusspfiff teste ich beim Aufbauen wie jedes Mal den Mischer mit meiner Frage, ob es Ok sei, wenn wir mein eigenes Paukenmikrofon verwenden. Der Typ hier macht mir den sympathischen Eindruck und auch Peter einigt sich hier schneller auf eine angemessene Verstärkerlautstärke. Es kommt noch eine andere Band, deren schon jetzt betrunkener Kumpel herausgefunden hat, dass ich Schweizer bin, weil ich mich nach dem Soundcheck via Mikrofon bei den anwesenden Barbesuchern für den Applaus bedanke, der bereits den gesamten Applaus des gestrigen Abends in den Schatten gestellt hat. Hier gibt es nur eine Möglichkeit, wie das Konzert laufen kann, mutmasse ich. Gestern nach dem Konzert kreuzte da auch noch so ein schwarzgebrillter Typ, der sich selbst sehr gerne reden hört auf und proletete, wir sollen heute unbedingt ins Freundlich und Kompetent gehen, da dort eine super Band spiele und man das nicht verpassen dürfe. Als wir dann sagten, dass wir heute ja ohnehin da spielen, verstand er die Welt nicht mehr und glaubte, wir wollen ihn auf den Arm nehmen. Irgendwann war der Zufall aber geklärt und nun macht die Band, die der kluge Mann in den höchsten Tönen lobte („eine unglaublich gute Rock Funk Band, schon sehr lange am Start und jetzt, als sie endlich mal eine Platte aufnehmen oder wollten ziehen sie auseinander“) Soundcheck und erfüllt meine Erwartungen voll und ganz. Ich finde die Band ganz OK. Sie können alle gut ihre Instrumente spielen und es gibt ein paar Songs, aus denen man durchaus etwas machen könnte. Es ist alles einigermassen tight, doch die Jungs stehen alle mit einer Sonnenbrille auf der Bühne und ihre Haltung lässt vermuten, dass das doch eher ein Spassprojekt ist oder war, bei dem der Wegzug zweier Bandmitglieder das bittere Ende bedeutet.
Der Typ hat gestern auch noch gesagt, es werde brechend voll sein hier, womit er definitiv recht hatte. Ich brauche ewig lange, um von zu hinterst im Club bis zur Bühne zu kommen. Der Gig verläuft dann auch sehr zu unseren Gunsten. Die Leute tanzen, lassen sich gehen, machen Fotos kaufen T-Shirts und Peters handgemachte Singles. Ich versuche mit Peters Kamera ein Bild von der Aussicht zu machen, scheitere aber mehrmals kläglich, bis sich Stephan vors Publikum stellt und posiert wie Siegfried oder Roy. Click. Erwischt. Da es der letzte Gig ist, nehmen wir es auch sehr locker, vielleicht etwas zu locker. Einmal fällt mir mitten im Song sogar ein Stock aus der Hand. Wäre das mir in der Moritzbastei passiert, hätte ich mich wohl mit 1000 Mal „du sollst die Stöcke festhalten“ an die Wandtafel schreiben bestraft. Hier verzeihe ich mir diesen einen Schnitzer, denn wer den Stock wieder hochhebt und gleichzeitig weiterspielt, dem erlaube ich das ausnahmsweise.
Am Ende packen wir unser Equipment zusammen, tragen es über unseren Köpfen durch das Gedränge, kassieren die um 25% erhöhte Gage und fahren zur Wohnung zurück. Hier übernachtet nur Stephan, der morgen von hier nach Hause fährt. Peter und ich brechen kurz entschlossen noch um Mitternacht auf. Er hat morgen Mittag in Zwickau ein Konzert und da er keine Mitfahrgelegenheit auftreiben konnte, ist mein Umweg über Leipzig die einzige Möglichkeit, dass er die Show noch kriegt. Als ich dann am Sonntagabend nach über 1000 Kilometern Autobahn, welche mit fortschreitender Zeit gegen Süden immer verstopfter ist, ankomme, habe ich das Autofahren erst mal satt.

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