04.10.2009 KEN.FM Potsdam Radio Live Show
KEN.FM ist nicht irgend ein Format, das ungehört irgendwo in der Provinz zu einer Unzeit aus knapp 200 Radios tropft. Nein, es ist eine Sendung auf Radio Berlin Brandenburg am Sonntagnachmittag. Wer da auftreten kann, ist schon eine Runde weiter.
Wer da noch mal auftreten kann, ist noch mal eine Runde weiter. Und da hören nicht nur um die 10000 potenziellen Konzertbesucher und Albumkäufer zu, sondern auch Leute, die die Türklinken von Türen, durch die jeder Musiker zu gehen träumt in der Hand. Wenn aber die Effektgeräte Wackelkontakte haben, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Peter von Runde zwei in Runde drei fortschreiten wird erheblich. Deswegen ist die erste Amtshandlung, die der Musiker Schönholzer an diesem Tag vornimmt: Elektrikerwerkzeug aus seinem Auto holen und die Kabel auf Vordermann bringen. Dann polieren wir die Songs, die heute um 17.20 über den Äther gejagt werden auf Hochglanz. Anschliessend eine weitere Kisten-Taschen-Trommeln-Tragen-Trainingseinheit. Fahrt nach Potsdam, im Radio läuft die Sendung, in der wir gleich spielen und mir wird spätestens jetzt klar, das ist nicht eine Gossenangelegenheit, nein, das ist ein der Ticketschalter von der First Class Abteilung. Es spielt gerade Bernd Begemann. Das ist nicht irgend ein dahergelaufener Taugenichts. Den kennen die Leute hier, wie bei uns Bühne Huber. Der hat es geschafft und zwar auf Dauer. Wir schaffen eine Punktlandung um 4 Uhr, schreiten durch zwei Türen, was ein Umweg ist, wie uns der Pförtner belehrt und finden uns in einer Art Foyer wieder in der man die Radiosendung schon hören kann. Es sitzen Leute auf Hockern rum und lauschen gebannt der Moderation von Ken Jepsen zu. Sofort werden wir vom Techniker eingewiesen und stellen fest, dass wir schon mitten in der Sendung stehen. Ken stolziert da mit einem Headsetmikro, Kopfhörer und einem Regieblock herum und spricht in einem Tempo und einer Deutlichkeit, die ich mit meinem Berndeutsch nie im Leben zu Stande kriegen würde zum Radiopublikum. Zwischendurch zischt er einen Befehl Richtung Praktikantin „Kaffe mit Milch!“ und sofort verschwindet sie und kehrt mit einer Tasse zurück. Sonst läuft alles mit Handzeichen. Jeder, der hier irgendetwas mit der Sache zu tun hat, ist ein absoluter Profi. Wir bauen unsere Instrumente auf, während Ken einen Buchautoren interviewt und als ein Einspieler läuft, dürfen wir Lärm machen (Soundcheck). Wir kriegen alle Kopfhörer, der Sound ist wie im Studio, was äussersten Spielkomfort bedeutet. Doch im Studio hat man in der Regel mehr als eine Chance, den ultimativen Take hinzukriegen. Hier ist die Auflage First Take! Da draussen hören womöglich mehr Leute zu, als wir auf der gesamten Tour vor den Bühnen haben werden und wenn wir Ken und seiner Crew ordentlich einen vors Fressbrett rocken, kann uns das einiges ermöglichen. Es geht also um etwas nicht all zu kleines. Und dieses Gefühl finde ich bärenstark. Dürfte mir öfters passieren, so etwas. Und Peter habe ich noch nie so nervös gesehen. Vor unserem Auftritt gibt es einen Dialog über Zeichensprache (Thema der heutigen Sendung: Kommunikation ohne Strom), bei der es viel zu lachen gibt. Peter verzieht aber während dessen mehr oder weniger keine Mine. Plötzlich sind dann wir an die Reihe. Es gibt zuerst ein billardähnliches Spiel, bei dem sich Peter dann geschickt eine Dose Böhnchen ergaunern kann. Alles live! Dann kommt der Moment, vor dem wir den ganzen Tag gezittert haben. Ich zähle ein und wir spielen unsere Songs ins ungewisse. Es fühlt sich eigentlich ganz gut an. Und wir spielen gut, nein besser, überhaupt nicht zu vergleichen mit gestern.
Nach dem zweiten Song schaltet sich Ken wieder ein. Es gibt einen Einspieler, mit dem Peter vorgestellt wird, dann nimmt sich Ken kurz mal jeden von der Band einzeln vor. Er fragt natürlich genau das, mit dem ich nicht gerechnet hätte und ich versuche irgendwas zu antworten, mit dem der grosse Medienmann auch nicht gerechnet hätte, ob es nun stimmt oder nicht. Wer mitgehört hat: Ich stehe gar nicht auf „fette Ärsche“. Ich will ich mich nur nicht mit meiner Snare bluffen, als mich Ken nach meiner Lieblingstrommel fragt. die Leute sollen selber hören, wie nett meine Snare klingt und es so nie mehr vergessen. Und was die Sau im Studio angeht: Ist mir spontan nichts ulkigeres eingefallen, sorry. Stephan meistert sein Interview etwa auf die gleiche Weise, in dem er öffentlich frech zu Peter ist. So soll es sein. Antworten wie „alles ist schön und toll“ und „ja“ und „Amen“ interessieren doch keinen.
Dann dürfen wir wieder unseren Job machen. Und den tun wir weiterhin kompromisslos gut. Als wir den letzten Song anziehen wollen, würgt uns Ken ab, denn Zeit ist um! Während er der Welt irgendwas, das völlig an mir vorbeigeht erzählt, fällt die Spannung in mir ab und ich wiege mich schon in Sicherheit, als sich der Typ plötzlich wieder neben mir aufbaut und über frühzeitliche Tommelkommunikation referiert. Was ich jetzt tun muss konnte ich nicht üben und ich weiss genau, dass jetzt auskommt, ob ich auch Interaktionsimprovisation in Musikkomik beherrsche. Ich muss Botschaften auf dem Schlagzeug übersetzen wie „Essen ist fertig“, „Achtung, die Steuerbehörde ist im Anmarsch“, „Anmache“, „Der Sex war gut“, „Ich erfinde Ken.Fm“. An Kens Reaktionen und an der Tatsache, dass er dafür mit der Sendung überzogen hat und daran, dass er mir hinterher die Hand schüttelt und mich als Mörderdrummer betitelt, wage ich zu erkennen, dass Ken nicht mehr im Glauben lebt, Peter Piek könne mit Band unmöglich besser sein als Peter Piek Solo. Er verabschiedet sich mit „wir sehen uns hier wieder“ und braust davon. Immer noch leicht benommen stellen wir fest, dass wir eigentlich die einzigen sind, die noch hier beim Studio herumstehen. Der Laden ist längst aufgeräumt und dicht. Alle Mitarbeiter sind verschwunden und der Sender sendet längst aus einer anderen Zentrale. Und wir haben doch heute Abend eigentlich noch ein Konzert in Wittenberg. Also nichts wie los. Es sind 70 Kilometer Landstrasse, die wir zu bewältigen haben. Plötzlich meldet sich die Müdigkeit und uns wird klar, dass wir vorhin wirklich alles gegeben haben. Da läuft plötzlich ein Song, den wir eben gespielt haben am Radio und der Sprecher weist auf unsere zwei kommenden Konzerte in angesagten Berliner Clubs hin. Handschlag! Jubel!
von Christian Schönholzer